Vertrauen macht Mut

In ein Gespräch zu gehen, auch wenn es schwierig werden wird, das erfordert Mut. Ich muss die Angst überwinden – meine eigene und die meiner Gegenüber. Wie überwinden wir Angst? Dazu gibt es viele kluge Gedanken von vielen klugen Menschen. Heute möchte ich einen zu Wort kommen lassen, der mich geprägt hat, meinen Vater, Konrad Seidel. Er hat 1981 einen Leitartikel für die Mitarbeiterzeitung D-i-D der Diakonie in Düsseldorf geschrieben, aus diesem Text möchte ich heute (leicht gekürzt) zitieren:

"Fürchte dich nicht

Zwölfjährige hatten Aufsätze über die Schule geschrieben. Ich habe Angst, wenn die Großen mich verhauen. Ich habe Angst, dass der Lehrer mich nicht anerkennt. Als Lehrer würde ich nicht so viel herumschreien.

Solche Aussagen erschrecken mich. Da sind Kinder in unserem zivilisierten Land, die am eigenen Leib und an ihrer Seele Gewalt erleben, denen man Unrecht tut, die unterdrückt und eingeschüchtert werden Und die älteren Kinder machen es mit den jüngeren schon genauso. (…) Angst im Elternhaus, Angst in der Schule, Angst in Behörden und Verwaltungen, in Parlamenten und Regierungen, Angst auf der Straße und in den Betrieben, Angst in der Kirche und in der Diakonie. Ich bin darüber traurig, wo immer es mir begegnet.

Im Juni treffen sich viele Tausende in Hamburg zum Kirchentag. Seine Losung lautet: Fürchte dich nicht. Dies ist ein Motto gegen die Angst und für die Zivilcourage. Ich erfahre zuerst: Menschliches Leben gibt es nicht ohne Angst. Das darf ich mir und anderen eingestehen. Ich kann davon sprechen.

Dann höre ich: Gott will nicht, daß ich in meiner Angst ersticke. Ich darf ihm zutrauen, daß er mich „von allen Seiten umgibt“ und mich in Schutz nehmen will. Er garantiert mein Leben, ich kann und brauche es nicht selbst abzusichern. (…) Fürchte dich nicht.

Aus diesem Vertrauen aber kann Mut entstehen: Ich soll meine Meinung sagen und auch Widerspruch wagen. Ich muß mich nicht ducken, muß Unrecht nicht einfach hinnehmen und brauche weder den sogenannten Sachzwängen noch menschlicher Gewalt letzten Respekt zu erweisen. Sie sind nicht Gott.

Und schließlich lerne ich: Niemand hat das Recht, andere unter Druck zu setzen oder ihnen Angst einzujagen. Daran darf und muß ich um Gottes willen erinnern, wo immer mir Angst und mangelnde Zivilcourage begegnen.“

Aus Vertrauen kann Mut entstehen, mit Vertrauen können wir die Angst überwinden, miteinander reden, Lösungen finden. Gemeinsam Lösungen finden und Krisen überwinden. Der Glaube meines Vaters ist eine sehr besondere Form des Vertrauens - die ich so nicht kenne. Aber es lohnt sich für jeden Menschen, nach den Fundamenten zu suchen, den Grundlagen, auf die Vertrauen gegründet sein kann. Der Mut der Verzweiflung gibt ungeahnte Kräfte, der Mut des Vertrauens eröffnet ungeahnte Möglichkeiten.

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